Ein Tag für die Kunst
Von Heike Kampe
Die Voltaireschule und das Projekt „d.art“ der Universität Potsdam haben ästhetische Bildung in die Schule gebracht. Zwölf Künstler haben für einen Tag Werkstätten geleitet.
Hanna setzt die dunkle Schweißermaske auf. Durch das Glasfenster schaut die 13-Jährige zu, wie Jost Löber ihr ganz persönliches Wappen zusammenschweißt. Aus Metallteilen, die in einem bunt zusammengewürfelten Haufen mitten im Klassenraum liegen, hat die Schülerin der Voltaireschule zuvor zusammengesucht, was sie dazu benötigt. Ein Metallteil in Formen des Buchstabens H und weitere Stücke, aus denen sie einen Pinsel und eine Feder zusammengesetzt hat. „Ich male und zeichne sehr gern“, erklärt Hanna. Geschweißt wird nun außerhalb des Klassenraums, in der improvisierten Schweißerwerkstatt, die Löber bereits um 7 Uhr morgens aufgebaut hat, bevor die ersten Schüler kamen.
Hannas Wappen nimmt Formen an. „Im Kunstunterricht behandeln wir gerade das Thema Wappen“, erklärt sie. Nun nähert sie sich dieser Thematik in der Metall-Kunst-Werkstatt auf ganz praktische Art und Weise. Jost Löber aus der Prignitz begleitet die Schüler auf ihrem „Weg zur eigenen Skulptur“. Er ist einer von insgesamt zwölf Künstlern aus Brandenburg, Berlin und der Oberpfalz, die an diesem Tag unterschiedliche Werkstätten für die Schüler der siebten Klassenstufe leiten.
„Das Schulgebäude gehört heute ganz den Künstlern und den Schülern aus der siebten Jahrgangsstufe“, erklärt Lehrerin Uta Schrader. Der Pausengong ist abgestellt, die anderen Klassenstufen haben heute einen Studientag zu Hause, die meisten Lehrkräfte eine Fortbildungsveranstaltung. Künstler und Siebtklässler sind unter sich – um voneinander zu lernen. Denn der Werkstatttag ist Teil des von der Universität Potsdam begründeten Projekts „d.art“ – einer wissenschaftlich begleiteten Weiterbildungsmaßnahme für Kunst- und Kulturschaffende, die mit Bundesmitteln gefördert wird. Ein Jahr lang dauert die Fortbildung, die seit 2014 besteht und an der sich bereits 43 Kunstschaffende – überwiegend aus Brandenburg – beteiligt haben. „Auf diesen Tag haben sie hingearbeitet“, sagt Henry Utech von der Uni Potsdam, der die Künstler begleitet und berät. „Heute sammeln sie Praxiserfahrung und werten diese anschließend aus.“
Während die Schüler in Löbers Workshop Skulpturen aus Metall erstehen lassen, steht Alena Willroths Werkstatt unter dem Motto „Geschmack des Lebens“. Auf den Tischen im Klassenraum stapeln sich von den Schülern mitgebrachte Einkaufstüten, Kunststoffnetze und bunt bedruckte Verpackungen. Laurenz klebt Bilder von Brokkoli, Pilzen und Pflaumen auf ein Stück Transparenzpapier und verbindet diese mit blauem Klebeband. „Es kommt keiner und sagt: ‚Das musst du anders machen!’“, freut er sich. Andere Kinder setzen Buchstaben und Blumen aneinander oder erschaffen geometrische Formen mit den Materialien. Die Künstlerin presst die Collagen zwischen zwei Lagen Backpapier in der Thermopresse. Bunt ist es auch in der Werkstatt von Gabriele Küther-Staudler. Wolle in allen Farben liegt in Körben auf den Tischen. Auf dem großen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes filzen die Kinder kleine runde oder viereckige Teppiche. Mit Wasser und Seife verschmelzen sie die Wollfasern mit kreisenden Bewegungen zu einem gemäldeartigen Gewebe. Farbe und Glas verbinden die Schüler schließlich in der Werkstatt von Thomas Bartel. Fast floral wirken die zarten Strukturen, die die Druckerfarbe auf den Glasplatten hinterlässt, wenn diese zusammengepresst und wieder voneinander gelöst werden. „Das ist der Kapillareffekt“, erklärt der Künstler. In die aufgetragene Farbe kratzen die Schüler mit Zahnarztinstrumenten Muster oder Figuren. So entstehen kleine Kunstwerke auf Glasdias, die in einem abgedunkelten Raum mit einem Projektor an die Wand projiziert werden. „Zu jedem Bild entwickeln die Kinder eine eigene Geschichte, die sie dann vortragen“, erklärt Bartel.
Schulleiterin Karen Pölk freut sich über die vielfältigen Angebote, die ihre Schüler an diesem Tag vorfinden. „Es ist eine Form des projektorientierten, offenen Unterrichts, in dem sie ihre Kreativität entfalten können.“ Auch nach dem Auslaufen von „d.art“ in diesem Jahr hofft sie darauf, dass weitere Projekte finanziert werden können und künftig langfristige Kooperationen mit Künstlern entstehen. „Die ästhetische Bildung gehört zu unserem Schulprofil“, betont sie.
„Für viele Künstler eröffnet sich mit der Arbeit in den Schulen ein neues Betätigungsfeld“, erklärt Henry Utech. Doch auch ein anderer Aspekt ist für viele Künstler wichtig: Die Arbeit mit Kindern inspiriert sie. In der einjährigen Fortbildungsmaßnahme erarbeiten sie sich nun die pädagogische Expertise, die für die Arbeit mit Schülern notwendig ist in Seminaren und Praxistagen. „Es geht vor allem darum, eine pädagogische Selbstwahrnehmung zu entwickeln“, erklärt Henry Utech. Und diese schließlich zu nutzen, um den Schülern Ausdrucksmittel an die Hand zu geben, mit denen diese ihre eigene Lebenswelt reflektieren und darstellen könnten. „Die qualifizierte Betreuung ist für uns sehr wichtig“, betont Lehrerin Uta Schrader, die das Projekt an die Voltaireschule geholt hat. Den ganzheitlichen Bildungsauftrag, den eine Schule habe, könne man gerade im Ganztag mit diesen und ähnlichen Projekten gut umsetzen – mit Partnern, die ihr fachliches Know-how von außerhalb mitbringen. Doch die Lehrerin weiß auch: „Oft fehlt es an der nötigen pädagogischen Vorerfahrung.“
An diesem Tag bringen die Künstler diese anscheinend mit: Die Arbeitsatmosphäre ist ruhig und konzentriert. Ob Teppiche, Collagen, Metall- und Raumskulpturen, Fensterbilder oder selbst geschriebene Geschichten – jeder der 119 Schüler wird ein eigenes Kunstwerk mit nach Hause nehmen können.
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