"Charlie Hebdo" ist überall auch in Potsdam

ORTSTERMIN IN VOLTAIRE-SCHULE IN POTSDAM

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Von Grit Weirauch

„Voltaire est Charlie“, steht an der Tafel im Französischraum der Voltaire-Gesamtschule in der Lindenstraße. Aufklärung im voltaireschen Sinne ist auch Thema der Stunde am Freitagmorgen um neun. Der Staatssekretär im Bildungsministerium, Thomas Drescher, ist geladen, um mit Schülern über die Folgen des Attentats von Paris zu sprechen. In rosa Hemd, mit Pferdeschwänzchen und Koteletten sitzt der 56-Jährige im Kreis mit den Schülern – die Steifheit seines Vorgängers ist ihm fern, schließlich war ein Klassenraum für den ehemaligen Schulleiter und Geografielehrer einer Gesamtschule in Zeuthen viele Jahre Alltag.

Eine Auswirkung des Terrors in Paris bekommen die Jugendlichen direkt zu spüren: Ihr für die kommenden Woche geplanter Schüleraustausch mit einem katholischen Privatlycée unweit von Paris ist abgesagt. Derzeit habe das französische Kultusministerium eine Art Ausgangssperre für die Schulen im Pariser Raum verhängt, sagt Schulleiterin Karen Pölk. Die Reise soll auf die Zeit nach Ostern verschoben werden. Wie und über welche Kanäle sie die Nachricht des Attentats aufgenommen haben, interessiert Drescher. Doch das sind nicht etwa Twitter, Facebook, wie er vermutet, sondern die Abendnachrichten im Fernsehen. „Ich muss sagen, ich bin ein bisschen zwiegespalten“, sagt eine Abiturientin. „Alles, was raus klingt am Ende, ist doch Propaganda. Wir müssen unsere Werte zeigen und so.“ Ihrer Meinung nach würden die Opfer politisch benutzt, um den „Westen hochzuschaukeln.“

Enttäuscht über abgesagte Frankreich-Reise

Drescher hört meist aufmerksam zu, nickt bei manchen Äußerungen, hält sich aber zurück mit Positionen und stellt lieber Fragen: Wie sie die Absage ihrer Reise sehen. „Ich bin schon enttäuscht“, sagt eine Achtklässlerin. Sie habe sich bereits angefreundet mit ihrer Austauschschülerin. Diese schrieb ihr erst gestern, wie klein ihr Radius geworden ist: lediglich in ihrem Ort könne sie sich frei bewegen, der Schulbus bringe sie zur Schule, nach Paris dürfe sie derzeit nicht.

Während das Gespräch über Meinungsfreiheit und Demokratieverständnis eher schleppend in Gang kommt, fordert Drescher zwei Minuten vor Ende der Stunde auf, „Dampf abzulassen“ über das Brandenburger Bildungssystem. Plötzlich schnellen viele Finger in die Höhe: Das Abi mit Berlin sei unfair, die Anforderungen in Mathe seien viel zu hoch, die fünf Leistungskurse viel zu hart. „Das ist ein Hammer“, sagt der neue Mann im Amt. „Auch unsere Schüler in Zeuthen sind auf die Barrikaden gegangen.“ Doch die Zeit ist knapp, um 10 Uhr hat Drescher einen Termin mit Kollegen im Innenministerium. Gern würde er für die Kritik zu einem Extra-Termin in die Schule kommen, aber die Schüler könnten ihm auch alle Fragen und Kritikpunkte schriftlich mitteilen, sagt er. Dass ein Staatssekretär Schüler bittet, „Dampf abzulassen“, ist in Brandenburg neu. Gut, wenn es Wirkung zeigt.

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Odyssee durch Afrika und Europa

Zu Gast bei Freunden: Mohamed Abdulahi kommt aus Somalia, lebt seit zwei Jahren in Potsdam – und erzählt Schülern von seiner Flucht

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Von Grit Weirauch

In den letzten Tagen vor den Weihnachtsferien denken sich Lehrer oft etwas Besonderes für ihren Unterricht aus – einen Film anschauen etwa. Tobias Beyer, Vertretungslehrer an der Voltaire-Schule, hat an diesem Mittwochvormittag ein anderes Anliegen: Der 26-Jährige will der Flüchtlingsthematik ein Gesicht geben. Deshalb hat er Mohamed Abdulahi aus Somalia in seinen Deutschunterricht in der 13. Klasse eingeladen.

Tatsächlich kennen die wenigsten Deutschen jemanden persönlich, der aus Angst vor Krieg und Terror nach Deutschland geflohen ist. Mohamed, genannt Grasso, wird auch der Erste sein, dessen Geschichte die 18- und 19-jährigen Schüler von Angesicht zu Angesicht erfahren.

Statt hinter Tischen sitzen die neun Jugendlichen im Kreis mit Grasso und Beyer. Die beiden haben sich angefreundet, seitdem Beyer den 33-jährigen Somalier ehrenamtlich über die Diakonie Deutsch beibringt. So führt Beyer erst wie ein Impulsgeber durch die Stunde. Später verselbstständigt sich das Gespräch und die Schüler fragen Grasso aus – über seine Lebensbedingungen, seinen Alltag in Afrika, seine politischen Ansichten.

2008 nach Italien gekommen – wie so vielen afrikanischen Flüchtlingen sind ihm die Bilder von Toten auf dem Mittelmeer ins Gedächtnis eingebrannt – landete Grasso zuerst in Norwegen in einem Flüchtlingsheim. Aus Angst vor Abschiebung nach Italien fuhr er nach Schweden und verließ aus gleichem Grund das Land wieder Richtung Deutschland. Seit zwei Jahren lebt er in Potsdam mit seiner Frau und seinen vier Kindern, zuerst auch hier im Flüchtlingswohnheim, inzwischen in einer eigenen Wohnung im Süden der Stadt. Seine zwei Töchter gehen dort auch zur Schule. Die Jahre auf der Flucht habe er nichts gewusst von seiner Familie, erzählt Grasso. Erst als er ins Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt kam, hätten Landsleute den Kontakt zu Frau und Kindern hergestellt. Sie waren ebenfalls über Kenia aus dem kriegsgeschüttelten Land in Ostafrika geflohen und in Brandenburg aufgenommen worden.

Frau und Kinder haben inzwischen die Aufenthaltsgenehmigung erhalten, Grasso noch nicht. Kürzlich, einen Tag vor seiner Deutschprüfung in der Sprachschule, erhielt er wieder einen Bescheid, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Das Amt wies ihn darauf hin, dass er Widerspruch einlegen kann. Das tat er auch mithilfe eines Anwalts.

Ein Schüler fragt, warum er weggegangen sei aus Somalia. Die Gründe aber für seine Flucht bleiben ein wenig im Dunkeln. Grasso erzählt von Gefängnis. Ist er daraus geflohen? In Mogadischu ist er aufgewachsen, arbeitete als Taucher – war er Angehöriger der Armee? Aber auch das gehört zu dieser Lektion für die Voltaire-Schüler: Sprach- und Kulturbarrieren lassen sich nicht in 45 Minuten auslöschen. Am Ende werden die Jugendlichen den Somalier für seine Deutschkenntnisse loben: „Du sprichst besser Deutsch als wir nach zwei Jahren Spanisch“ – er entschuldigt sich dafür.

„Wie seht ihr Flüchtlinge uns Deutschen?“, will ein anderer Schüler wissen. Sein Vorurteil sei gewesen, dass die Deutschen nicht freundlich seien. Aber diese Erfahrung habe er nie gemacht. Stattdessen viele gute Begegnungen – „dann sind wir beruhigt“.

„Was hattest du alles von zu Hause mitgenommen, als du geflohen bist?“ „Einen Rucksack mit zwei T–Shirts, eine Jacke, zwei Hosen. Und etwas zu trinken.“ In der Wüste braucht man Wasser.

Ob er wieder zurückgehen werde? Vielleicht, wenn sich sein Land weiter stabilisiere. Aber es gehe ihm andererseits gut hier, seine Kinder könnten kostenlos zur Schule gehen. Seinen Freunden in Somalia allerdings rät er davon ab, ihrem Land den Rücken zu kehren. Zu gefährlich sei die Flucht. Und außerdem: „Früher hab ich gedacht, dass man hier ganz viel haben kann. Aber das ist es nicht.“

Was das Beste für ihn hier sei? Der Führerschein. Seine Familie in Somalia hat ihm geholfen, die Fahrschule zu bezahlen. So habe er bessere Aussichten auf eine Arbeit. Überhaupt die Arbeit: „Ich will nicht 300 Euro vom Sozialamt. Ich bin stark und will arbeiten.“

Nur bei der Frage eines Schülers nach seiner Meinung zu den Protesten in Dresden weiß Grasso nicht so recht eine Antwort. Was soll er auch sagen? Schließlich richten sich die Proteste gegen Menschen wie ihn. Vielleicht kann er die Frage aber auch gar nicht verstehen.

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Mittagessen in aller Öffentlichkeit

Rund 200 Schüler der Voltaire-Gesamtschule protestieren im Landtag gegen ihre marode Mensat

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Von Grit Weirauch

Innenstadt - Es war ein Flashmob mitten im politischen Tagesgeschäft: Am Plenumstag, kurz vor 13 Uhr, zog ein Zug von rund 200 Schülern der Voltaire-Gesamtschule in das Tor zum Landtag ein. Ihr Ziel: die Kantine. Die Jugendlichen hatten Hunger und wollten mittagessen wie die Abgeordneten. Und sie brauchten eine Öffentlichkeit für ihr Anliegen. Denn die Aktion war als Protest gegen die Situation ihrer eigenen Mensa auf dem Schulgelände in der Lindenstraße gedacht.

Seit fast zehn Jahren ist der sogenannte Speisewürfel der Voltaire-Schule – ein typischer DDR-Mensabau aus den 70er-Jahren – ein Sanierungsfall. Rund 900 Kinder und Jugendliche von der 5. bis zur 13. Klasse besuchen die einzige Gesamtschule der Innenstadt; die Mensa hingegen ist für gerade mal 130 Schüler vorgesehen. Doch der Speisesaal ist nicht nur zu klein, sondern auch marode: Heizungen lassen sich nicht regulieren, Fenster nicht öffnen, immer wieder werden Brandschutzmängel festgestellt. Einen Abriss und den Neubau der Mensa sieht die Stadt erst für 2018 vor. Etliche Brandbriefe hatten Schulleitung, Eltern und Schüler an Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bereits geschrieben. Vor wenigen Wochen wollten die Schüler mit einer ähnlichen Kantinen-Aktion im Stadthaus auf sich aufmerksam machen. „Aber da hat es niemanden interessiert“, sagt Edith Schütze aus der 13. Klasse.

Zumindest einen Partner haben die Schüler am Mittwoch an ihrer Seite. Die CDU-Fraktion hat sich des Themas Voltaire-Mensa angenommen und verteilt vor dem Eingang Postkarten. „Wenn’s mal wieder länger dauert mit der Mensa, machen wir den Behörden Dampf“, steht darauf. An die Karte hat die CDU einen Schokoriegel getackert.

Kurz darauf drängen die Jugendlichen ins Foyer. Die wenigen verbleibenden Besucher ziehen sich zurück, ein Gespräch ist nun hier eh nicht mehr möglich. Henryk Wichmann und Gordon Hoffmann sind von der CDU gekommen, um den Schülern ihre Unterstützung zuzusichern. Schülersprecher Moritz Rütenik überreicht Wichmann als Vorsitzendem des Petitionsausschusses eine Petition an den Landtag. Das Gleiche hatten Elternvertreter in der letzten Wahlperiode getan. Damals schon wurde die Petition abgewiesen, da es nicht Aufgabe des Landes ist, Schulgebäude zu sanieren. Und auch diesmal muss Wichmann den anwesenden Jugendlichen sagen: „Ich nehme die Petition gerne an. Aber es fällt in die Zuständigkeit der Stadt Potsdam. Jakobs ist dafür verantwortlich und hat für eine Besserung der Situation zu sorgen.“ Er könne nicht nachvollziehen, wie „in einer so großen und prächtigen Stadt wie Potsdam“ es nicht möglich sei, für 900 Schüler gute Essensbedingungen zu schaffen.

Erneut wird der Ausschuss den Oberbürgermeister um eine Stellungnahme bitten. „Da muss in absehbarer Zeit etwas passieren“, sagt Wichmann und erntet dafür tosenden Applaus der Jugendlichen. Dass allein die Bearbeitung der Petition drei Monate dauere, wie Wichmann weiter sagt, geht unter. „Es muss zu einer Lösung kommen“, sagt auch Schülersprecher Moritz Rütenik. Die Voltaire sei die bestangewählte Gesamtschule – „und hier fallen Teile von der Decke“. Es ärgere ihn, dass die Stadt den Streit um die Mensa als Luxusproblem degradiere. „Das ist überhaupt nicht vertretbar.“

Nach der Übergabe der Petition wollen die Schüler nun endlich essen. Doch das gehe nicht, sagt Wichmann. Die Kantine sei für 200 Gäste zu klein. Nur diejenigen, die sich angemeldet hätten, dürften in die vierte Etage. Die anderen müssten den Landtag verlassen. Er erntet langanhaltende Buhrufe.

Oben in der Kantine sitzen lediglich zwei Schüler. „Wir hatten einfach Hunger“, sagt Sebastian Liesecke vor leerem Teller. „Das Essen ist echt gut hier.“ Er könne sich vorstellen, hier öfters essen zu gehen. Politiker sollten, so der 18-Jährige, einen stärkeren Fokus auf die Ernährung legen. „Gesunde und fitte Schüler schreiben bessere Noten.“

Die meisten Schüler haben unterdessen den Landtag wieder verlassen. Manche verdrücken draußen auf einer Bank den CDU-Schokoriegel.

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Voltaire-Schüler stürmen den Landtag

Und wieder wollten Schüler der Voltaire-Schule in Potsdam eine Kantine belagern, um mit einem Protestessen auf die "katastrophale Situation" bei der Essenversorgung der Schule aufmerksam zu machen. Am Mittwoch traf es den Landtag.

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Von Rainer Schüler

Potsdam. Mehr Volk sah der Landtag im Dienstbetrieb noch nie: Rund 250 Schüler der Voltaire-Schule füllten am Mittwoch das Foyer des Landesparlaments am Alten Markt. Mit einem Protestessen in der Landtagskantine wollten sie auf die "katastrophale Situation" bei der Essenversorgung der Schule aufmerksam machen, die rund 900 Schüler hat, aber nur 150 Plätze in der Mensa. Da heißt es anstehen in der Mittagspause, die für viele vergeht, ohne dass sie drangekommen sind.

Das hätte es auch bedeutet, wenn die versammelte Schülerschaft auch noch die Kantine des Landesparlaments geentert hätte, doch ließ der CDU-Abgeordnete Henryk Wichmann nur jene 30 Schüler per Fahrstuhl hoch in die Kantine fahren, die dafür angemeldet waren. Wichmann nahm aber gerne eine Petition an den Ausschuss entgegen, den er leitet, und versprach, sie eilig zu behandeln. Schließlich gab es vor einem Jahr auch schon eine solche Petition, und der Ausschuss glaubte der Stadtverwaltung, jetzt werde was passieren. Passiert ist nichts.

Neubau ab 2018

Kann es auch nicht, sagte Stadtsprecher Markus Klier am Mittwoch und verwies erneut auf den Schulentwicklungsplan für die Jahre von 2014 bis 2018. Ihm zufolge ist der Turnhallenneubau der Voltaire und damit der Abriss und der Neubau der Mensa "ab 2018" in die Planung aufgenommen. "Schon die Planung kostet Geld", sagte Klier. Wann dann tatsächlich gebaut werden kann, wisse niemand. Für die gesamte Baumaßnahme seien Investitionen von rund 8,77 Millionen Euro vorgesehen.

Dabei ist der Mensa-Neubau nur eine Folge des Turnhallenneubaus, der zwingend ist, weil die aktuelle Halle zu klein ist für die Nutzung durch die Voltaire- und die Max-Dortu-Grundschule. Ein Hallenneubau aber muss auf dem Gelände der jetzigen Mensa erfolgen, die abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen ist.

"Essensgutscheine" und Süßes von der CDU

Das alles war am Mittwoch im Landtag kein Thema. Die CDU verteilte "Essensgutscheine" mit einem Snickers-Riegel drauf, und Wichmann geriet ganz öffentlich in Rage: "Es kann doch nicht sein, dass uns die Schüler hier jede Woche überrennen, nur weil der OB Jakobs diese Mensa nicht bauen kann." Es sei "nicht nachvollziehbar, dass es in einer so großen und prächtigen Stadt nicht möglich ist, dass die Schüler essen können", sagte Wichmann: "Es muss in absehbarer Zeit etwas passieren."

In der Mensa essen offenbar die meisten Abitur-Schüler nicht. "Es können nie alle gleichzeitig essen", erklärte Moritz Rütenik, stellvertretender Schülersprecher. Tony Lerbs aus der 12. Klasse etwa setzt die 3,20 Euro Mittagskosten lieber beim Döner in der Brandenburger Straße ein, und Leander Bichelmeier war das letzte Mal in der 5. Klasse in der Mensa essen.

Das Mensa-Problem der Voltaire-Schüler

  • Die Größe der Ende der 1970er Jahre gebauten Mensa übertrifft nach Angaben des Presseamtes der Stadt sogar die aktuellen Raumbedarfsempfehlungen des Landes für Mehrzweckräume dieses Schultyps.
  • Baulich gebe es viel problematischere Objekte in der Potsdamer Schullandschaft, sagt Pressesprecher Markus Klier. Die problematischeren Fälle müssten zuerst gelöst werden.
  • Um die Situation beim Schulessen in der „Voltaire“ zu entkrampfen, müsse es anders organisiert werden. Hier wird auf den Umstand verwiesen, dass ein Teil der Mensa für Unterricht statt zum Essen genutzt wird.
  • Die Schule besteht aber auf der Unterrichtsfläche in der Mensa.

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