Odyssee durch Afrika und Europa
Zu Gast bei Freunden: Mohamed Abdulahi kommt aus Somalia, lebt seit zwei Jahren in Potsdam – und erzählt Schülern von seiner Flucht
Von Grit Weirauch
In den letzten Tagen vor den Weihnachtsferien denken sich Lehrer oft etwas Besonderes für ihren Unterricht aus – einen Film anschauen etwa. Tobias Beyer, Vertretungslehrer an der Voltaire-Schule, hat an diesem Mittwochvormittag ein anderes Anliegen: Der 26-Jährige will der Flüchtlingsthematik ein Gesicht geben. Deshalb hat er Mohamed Abdulahi aus Somalia in seinen Deutschunterricht in der 13. Klasse eingeladen.
Tatsächlich kennen die wenigsten Deutschen jemanden persönlich, der aus Angst vor Krieg und Terror nach Deutschland geflohen ist. Mohamed, genannt Grasso, wird auch der Erste sein, dessen Geschichte die 18- und 19-jährigen Schüler von Angesicht zu Angesicht erfahren.
Statt hinter Tischen sitzen die neun Jugendlichen im Kreis mit Grasso und Beyer. Die beiden haben sich angefreundet, seitdem Beyer den 33-jährigen Somalier ehrenamtlich über die Diakonie Deutsch beibringt. So führt Beyer erst wie ein Impulsgeber durch die Stunde. Später verselbstständigt sich das Gespräch und die Schüler fragen Grasso aus – über seine Lebensbedingungen, seinen Alltag in Afrika, seine politischen Ansichten.
2008 nach Italien gekommen – wie so vielen afrikanischen Flüchtlingen sind ihm die Bilder von Toten auf dem Mittelmeer ins Gedächtnis eingebrannt – landete Grasso zuerst in Norwegen in einem Flüchtlingsheim. Aus Angst vor Abschiebung nach Italien fuhr er nach Schweden und verließ aus gleichem Grund das Land wieder Richtung Deutschland. Seit zwei Jahren lebt er in Potsdam mit seiner Frau und seinen vier Kindern, zuerst auch hier im Flüchtlingswohnheim, inzwischen in einer eigenen Wohnung im Süden der Stadt. Seine zwei Töchter gehen dort auch zur Schule. Die Jahre auf der Flucht habe er nichts gewusst von seiner Familie, erzählt Grasso. Erst als er ins Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt kam, hätten Landsleute den Kontakt zu Frau und Kindern hergestellt. Sie waren ebenfalls über Kenia aus dem kriegsgeschüttelten Land in Ostafrika geflohen und in Brandenburg aufgenommen worden.
Frau und Kinder haben inzwischen die Aufenthaltsgenehmigung erhalten, Grasso noch nicht. Kürzlich, einen Tag vor seiner Deutschprüfung in der Sprachschule, erhielt er wieder einen Bescheid, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Das Amt wies ihn darauf hin, dass er Widerspruch einlegen kann. Das tat er auch mithilfe eines Anwalts.
Ein Schüler fragt, warum er weggegangen sei aus Somalia. Die Gründe aber für seine Flucht bleiben ein wenig im Dunkeln. Grasso erzählt von Gefängnis. Ist er daraus geflohen? In Mogadischu ist er aufgewachsen, arbeitete als Taucher – war er Angehöriger der Armee? Aber auch das gehört zu dieser Lektion für die Voltaire-Schüler: Sprach- und Kulturbarrieren lassen sich nicht in 45 Minuten auslöschen. Am Ende werden die Jugendlichen den Somalier für seine Deutschkenntnisse loben: „Du sprichst besser Deutsch als wir nach zwei Jahren Spanisch“ – er entschuldigt sich dafür.
„Wie seht ihr Flüchtlinge uns Deutschen?“, will ein anderer Schüler wissen. Sein Vorurteil sei gewesen, dass die Deutschen nicht freundlich seien. Aber diese Erfahrung habe er nie gemacht. Stattdessen viele gute Begegnungen – „dann sind wir beruhigt“.
„Was hattest du alles von zu Hause mitgenommen, als du geflohen bist?“ „Einen Rucksack mit zwei T–Shirts, eine Jacke, zwei Hosen. Und etwas zu trinken.“ In der Wüste braucht man Wasser.
Ob er wieder zurückgehen werde? Vielleicht, wenn sich sein Land weiter stabilisiere. Aber es gehe ihm andererseits gut hier, seine Kinder könnten kostenlos zur Schule gehen. Seinen Freunden in Somalia allerdings rät er davon ab, ihrem Land den Rücken zu kehren. Zu gefährlich sei die Flucht. Und außerdem: „Früher hab ich gedacht, dass man hier ganz viel haben kann. Aber das ist es nicht.“
Was das Beste für ihn hier sei? Der Führerschein. Seine Familie in Somalia hat ihm geholfen, die Fahrschule zu bezahlen. So habe er bessere Aussichten auf eine Arbeit. Überhaupt die Arbeit: „Ich will nicht 300 Euro vom Sozialamt. Ich bin stark und will arbeiten.“
Nur bei der Frage eines Schülers nach seiner Meinung zu den Protesten in Dresden weiß Grasso nicht so recht eine Antwort. Was soll er auch sagen? Schließlich richten sich die Proteste gegen Menschen wie ihn. Vielleicht kann er die Frage aber auch gar nicht verstehen.
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