b11 Andere„Ihr seid nicht schuldig an dem, was damals geschah, aber ihr seid doch verantwortlich, dass es nie wieder geschieht.“

Die Aula der Voltaireschule ist mit Schülern des 12. Jahrgangs gefüllt. Erwartungsvolle Blicke streifen hin und wieder den noch leeren Einzeltisch gegenüber. Als George Sheffi  den Raum betritt, wird es leiser, an die 120 Schüler warten auf einen spannenden und außergewöhnlichen Geschichtsblock.

George Shefi  ist ein Holocaust- Überlebender deutsch-jüdischer Abstammung und ist aus Israel angereist, um SchülerInnen aus Brandenburg seine Geschichte näherzubringen.  Er erzählt:

Shefi (geb. 29.11.1931), heute 85 Jahre, wuchs in Berlin auf. Am Tag der Reichspogromnacht wird er erstmalig mit dem Nationalsozialismus konfrontiert. Am Tag nach der Reichskristallnacht lief er als kleiner Junge am jüdischen Geschäft in der Nachbarschaft vorbei und beobachtete den Inhaber beim Putzen der beschmierten Scheiben und auch die Ansammlung von Personen, die ihn umringten und beschimpfen. Dies ist ihm noch heute ein unvergessliches und erschreckendes Erlebnis. Seine Familie hält es bald für sicherer, den kleinen Jungen aus Deutschland herauszubringen und beschließt, ihn mit einem sog. Kindertransport nach England bringen zu lassen. Shefi sagt, er habe diese Reise zunächst als abenteuerlich empfunden, doch wenn er heute die Treppen des Bahnhofs „Friedrichsstraße“ in Berlin betritt, jene auf denen er seine Mutter das letzte Mal sah, schmerzt es ihn immer noch. Von nun an war Shefi auf sich allein gestellt. Seine Mutter wurde in einem Vernichtungslager vergast.

Die folgenden Jahre verbrachte er bei einer Londoner Familie mit einer Tochter, die ihn stets ärgerte. Im Jahr 1940 musste er die Bombardierung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe miterleben und als die Familie dadurch schließlich keinen Platz mehr für ihn hatte, wurde er über den Ozean nach Nordamerika zu seinem Onkel geschickt. Die mehrere Tage andauernde Fahrt war streng geheim, denn er reiste mit einem Truppentransporter mit 6.000 kanadischen Soldaten. An dieser Stelle erzählt er von gemütlichen Spielabenden mit Soldaten und einem – in seinen damaligen Kinderaugen  abenteuerlichen – Angriff durch U-Boote.  In Nordamerika angekommen, reiste er in die Staaten zu seinem Onkel.

Mit 17 Jahren emigrierte Shefi gemeinsam mit seinem Onkel nach Israel und lebte in einem Kibbuz. Im Alter von 35 Jahren war Shefi nun Israeli, verheiratet und hatte zwei Töchter. Zu dem Zeitpunkt stieß er durch Zufall auf die Spuren seines in Australien lebenden  Vaters, den er bis dahin gar nicht gekannt hatte. Er lud ihn zu sich ein und bis zu seinem Tod hielt Shefi zu ihm regen Kontakt, noch heute zu der Tochter seines Vaters und somit seiner Schwester.
Im Anschluss an seine Erzählungen ist Zeit für Fragen von Seiten der Schüler. Nachfragen beantwortet er gewissenhaft und gerne. Nach dem Gespräch danken ihm viele SchülerInnen für seine Erzählungen in der Schule noch einmal persönlich. Für die SchülerInnen aus dem 12. Jahrgang war das Gespräch mit Shefi etwas Besonderes und absolut Lehrreiches, denn sie haben einen Eindruck von seinem Leben bekommen und somit von dem Leben im Krieg. Als die SchülerInnen den Raum verließen, kreisten die Gedanken um den Holocaust und die Flucht in den Köpfen.

Judith Haack