Personalisiertes Lernen mehr Bildungsgerechtigkeit mit digitalen Medien?

Noch vor zehn Jahren hoffte man, die Digitalisierung der Schule würde zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass der technische Zugang allein nicht ausreicht, um benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu fördern. Wie digitale Medien zu mehr Chancengleichheit beitragen können, zeigt das Beispiel aus einer der Werkstattschulen.

 FBD Logo

In der elften Klasse der Voltaireschule in Potsdam, einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, dreht sich heute Morgen alles um das Thema Aufklärung. Die SchülerInnen und Schüler arbeiten in kleinen Gruppen an ihren Tablets – bald werden sie Nathan der Weise lesen, vorher sollen sie die Epoche kennenlernen. Deutschlehrer und Oberstufenkoordinator Björn Nölte hat dafür verschiedene Aufgaben vorbereitet. „In der 11. Klasse kommen bei uns sehr unterschiedliche Schüler zusammen: Die aus unseren eigenen zehnten Klassen, besonders leistungsstarke Schüler von verschiedenen Oberschulen aus der Region, die doch Abitur machen wollen, teilweise aber auch Schülerinnen aus anderen Ländern, die dann sprachbenachteiligt sind.“ Um den unterschiedlichen Bedürfnissen seiner Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, stellt Björn Nölte für jeden passende Materialien zusammen. Auf der kostenlosen Lernplattform Google Classroom können die Lernenden ihre personalisierten, dem eigenen Leistungsniveau angepassten Aufgaben sehen und bearbeiten, ohne dass Björn Nölte „diffamierend ansagen muss, wer welche Aufgabe bekommt.“

Individuell fördern mit unterschiedlichen Lernaufgaben

Während Lucas und Marie eine Präsentation für die Klasse vorbereiten, beantwortet eine andere Gruppe schriftlich Fragen zur Aufklärung. Auf Björn Nöltes Tablet sind sie direkt im Arbeitsprozess einsehbar – so kann der Deutschlehrer den Lernstand seiner SchülerInnen und Schüler viel besser diagnostizieren, als das analog möglich wäre. Mladen aus Serbien ist neu an der Voltaireschule. Er kann zwar schon ein bisschen Deutsch sprechen, aber weniger gut lesen und schreiben. In seinen Account hat Björn Nölte daher einen sprachlich vereinfachten Text hochgeladen, die Antworten auf die Verständnisfragen soll Mladen als Audiodateien einreichen – so wird die Sprachbarriere durchbrochen.

Jeden mitnehmen

Die Kunst sei es, beim personalisierten Lernen die Dynamik in der Klasse nicht aus den Augen zu verlieren, erklärt Björn Nölte nach der Stunde: „Die Crux beim Differenzieren ist immer, dass die Schere noch weiter auseinandergeht. Dass die Leistungsstarken schon über alle Berge sind, während die Leistungsschwächeren noch an den Grundlagen herumdümpeln.“ Andererseits habe Mladen so die Möglichkeit gehabt, der Präsentation der anderen zu folgen, so Nölte weiter. „Weil er auf seinem Sprachniveau schon etwas über das Thema verstanden hatte. Ansonsten wäre er ausgestiegen. Natürlich sind jetzt nicht alle auf demselben Leistungsstand, aber man hat die Chance, alle Schüler mitzunehmen.“

Weniger konsumieren, mehr gestalten

Zu mehr Chancengleichheit in der (digitalen) Bildung gehört aber mehr als eine individuelle Förderung im Unterricht. Eine wichtige Rolle spiele vor allem eine Medienkompetenz für den Alltag, sagt Sandra Liebender von der Stiftung Digitale Chancen. „Das Smartphone ist mittlerweile in allen Teilen der Gesellschaft angekommen. Studien belegen aber, dass Kinder und Jugendliche digitale Medien überwiegend konsumierend nutzen.“ Wenn sie lernen, digitale Medien gestaltend anzuwenden, indem sie beispielsweise digitale Collagen und Animationen herstellen oder erste Programmiererfahrungen machen, eröffnen sich ihnen neue Möglichkeiten der Teilhabe. „Gerade jungen Menschen aus ökonomisch oder sozial benachteiligtem Umfeld ist oft nicht bewusst, dass sie auf diese Weise die Gesellschaft mitgestalten können. Dafür brauchen sie kreative Erfahrungsräume und Angebote, die sie nicht alle zu Hause oder in der Schule bekommen“, so Sandra Liebender weiter. Deswegen arbeitet die Stiftung Digitale Chancen zusammen mit MultiplikatorInnen aus dem außerschulischen Bildungsbereich z. B. in Jugendclubs oder Stadtbibliotheken, um die Medienkompetenz von Jugendlichen zu stärken.

Medienbildung im Schulkonzept

Dass alle Schülerinnen und Schüler einen kreativen und reflektierten Umgang mit digitalen Medien erst einmal lernen müssen, wissen auch Björn Nölte und seine KollegInnen an der Voltaireschule in Potsdam. Von Anfang an, also ab der fünften Klasse, gibt es an der Werkstattschule daher das Fach Medien und Kommunikation. „Da geht es um Kommunikationstheorie und den kritischen Umgang mit digitalen Medien. Das Fach gehört bei uns zur schulischen Sozialisation dazu und geht bis zum Abitur“, betont Oberstufenkoordinator Björn Nölte. Wichtig sei bei aller Offenheit für die Arbeit mit digitalen Medien aber auch eine kritische Haltung unter den Lehrkräften: „Dass die pädagogischen Konzepte im Vordergrund stehen und sie nicht alles mitnehmen, was auf den Markt kommt.“

Link zum Presseartikel.